Experte Clemens Wasner sieht die AI im Wandel ... hin zur Business AI. Dort sind die Industrien und unsere Unternehmen als Innovatoren gefragt und nicht die globalen Daten-Giganten.
Klar ist: AI ist die Zukunft. Alle wissen um die vielfältigen Möglichkeiten, die sich mit ihr auftun, den Nutzen, der sich daraus generieren lässt. Klar ist aber auch: AI ist heute bereits Teil unseres Alltags, auch von Unternehmen. Das gilt umso mehr, als sie jetzt den nächsten Entwicklungsschritt setzt. Genau das macht AI heute für Clemens Wasner so spannend: „Wenn bisher in der Unternehmenswelt von AI die Rede war, war damit die Internet AI gemeint, die von ein paar globalen B2C Data Driven Unternehmen bestimmt wird. In Europa blieb oft nur die Zuschauerrolle. Mittlerweile hat AI jedoch einen Reifegrad erreicht, der sie auch für Anwendungen fernab von Cloud und B2C tauglich macht: die Business AI. Auf dieser Ebene können und müssen auch die heimischen Unternehmen von Zuschauern zu Playern werden, wenn sie nachhaltig konkurrenzfähig sein wollen.“
Clemens Wasner ist hochkarätiger Experte, wenn es um AI geht und gefragter Speaker ..
Er ist Mitgründer und Vorstandsmitglied der AI Austria, der Austrian Society for Artifial Intelligence, einer Experten-Vereinigung, die Österreich zu einem der führenden Standorte für künstliche Intelligenz machen will. Mit seiner eigenen Firma enliteAI berät und unterstützt er Unternehmen als Full-Service-Partner für AI – von Strategieentwicklung bis zur Implementierung.
Im Unterschied zu anderen technologischen Entwicklungen sehen fast alle, dass die AI vielfältige neue Möglichkeiten schafft, dennoch sind Best Practices noch Mangelware. Woran liegt das?
Die großen Durchbrüche in der AI sind 20 Jahre früher passiert, als alle erwartet hätten, einschließlich der Internet-Giganten, der großen Tech-Konzerne und der Unis. Bei Google X, der Forschungsabteilung von Google, war AI zunächst nur ein Thema von vielen, zwischen fliegenden Autos und Kontaktlinsen, die den Blutzucker messen. Als 2012 ein AI-System bei einem Experiment in 10 Millionen Youtube-Videos Katzen erkennen sollte und aus dem Stand auf eine Trefferquote von 80 Prozent kam, hat das alle überrascht. Als Folge hat man die Suchmaschine bei Google auf einen Machine Learning basierten Ansatz umgestellt. Rückblickend war dieser aber nur der Startschuss für eine Reihe an Durchbrüchen wie 2014, als Google ein autonom fahrendes Auto ohne Lenkrad vorstellte oder 2016, wo mit AlphaGo zum ersten Mal ein AI-System den menschlichen Go-Weltmeister besiegte.
Und an diesen Big Bangs haben wir heute noch zu knabbern?
Genau. AI schaffte schlagartig vor den Augen von Milliarden von Benutzern und Konsumenten ein komplett neues Paradigma für Software – von der Entwicklung bis hin zu den Einsatzmöglichkeiten. Die Unternehmenswelt war darauf genau so wenig vorbereitet wie die Universitäten, welche sich nur in Ausnahmefällen intensiver mit dem Thema Deep Learning befasst hatten.
Als Resultat dieser raschen Entwicklung waren Unternehmen aus „klassischen“ Branchen lange Zeit nur Zuseher, oft ohne konkrete Vorstellung welche Rollen, Skills und Best Practices für eine erfolgreiche Einführung von AI notwendig sind.
Mittlerweile kommt auf der Talent-Seite jedoch einiges in Bewegung und langsam diffundieren die ersten Best Practices von den großen Pionierindustrien wie Automotive und Banken in andere Sektoren. AI wird gerade industrialisiert. Sie spielt sich nicht mehr nur in der Cloud ab, sondern hält Einzug in die „reale Wirtschaft“.
Manche haben Angst, dass damit auch die Internet-AI-Giganten wie Google Einzug in die reale Wirtschaft halten und dort zum Disruptor werden.
Das Business der Internet AI beruht auf Daten von hunderten Millionen oder mehr Usern, die zentral gespeichert werden, um damit Vorhersagen zu ermöglichen, die mit weniger Datensätzen nicht machbar sind. Wenn bei Google ein neuer Service gelauncht wird, muss der rasch auf eine dreistellige Millionenanzahl an Usern skaliert werden können. Um zu einem Core Service wie Gmail, Suche, Maps, Android und Youtube zu werden, braucht es gar eine Milliarde User. Das geht nur mit Themen, die für Menschen in allen Lebenslagen interessant und relevant sind, wie zum Beispiel mit Kommunikation –siehe Gmail und Messenger –, sozialer Interaktion – siehe Facebook und Instagram –, Navigation – siehe Google Maps –, oder im Fall von Amazon oder Alibaba mit Produkten, die wir alle kaufen. Industriethemen wie Predictive Maintenance oder Qualitätskontrolle zählen da jedoch gewiss nicht dazu.
Die Angst, dass Google & Co. das Wissen und die Kernkompetenzen ganzer Branchen wertlos machen und sie überrollen, ist also unbegründet?
Das Geschäftsmodell von Google ist horizontal ausgerichtet. Die Lösungen müssen überall ausgerollt werden können, um auf die nötigen Größenordnungen zu kommen.
Für vertikale Lösungen wie zum Beispiel bei Banken, Versicherungen, der Holzindustrie oder anderen Bereichen sind die Unternehmen und ihr Wissen im jeweiligen Sektor gefragt. Dort werden in der Business AI die Innovation und die Intellectual Property geschaffen, nicht im Silicon Valley.
Vertikales Wissen zu sammeln, rechnet sich für Google nur in seltenen Fällen.
Ich sehe vielmehr eine andere Gefahr: Nämlich, dass sich die europäischen Unternehmen fasziniert vom Silicon Valley, das exponentielle Internet-AI Business zum Vorbild nehmen und dabei ihre eigenen Stärken außer Acht lassen. Das Szenario dort sieht aber ganz anders aus: extrem deindustrialisiert, kaum öffentliche Förderungen, sehr viel Venture Capital Driven, Platform Business als ein dominierendes Geschäftsmodell. Das hat mit unserer Wirtschaftsstruktur kaum etwas zu tun, von den gänzlich anderen Rahmenbedingungen ganz zu schweigen.
Kann man sich für die eigene Herangehensweise an Business AI überhaupt an Vorbildern orientieren?
Wenn man sehen möchte, wo der Business-AI-Zug hinfährt, sollte man nach China und Japan schauen, Länder, deren Wirtschaftsstruktur der unseren viel ähnlicher ist und die schon mitten in der Ausrollphase von AI sind. China hat 2016 in seinem Fünf-Jahres-Plan den Fokus ausdrücklich auf Skilled Manufacturing gerichtet, mit der Vision das letzte Land zu sein in welches die Produktion von hochwertigen Gütern wie Autos, Flugzeugen oder Halbleitern verlagert wurde. Ähnlich wie bei uns sinkt die Anzahl der Arbeitnehmer in der Bevölkerung, und das will man mit Robotern kompensieren. Mit KUKA hat man den wichtigsten deutschen Roboterbauer gekauft. Wenn es eine neue industrielle Revolution gibt, dann findet die im Moment dort statt.
Und das haben über den faszinierten Blick auf das Silicon Valley noch zu wenige erkannt?
Der Automotive-Sektor hat es sicherlich als einer der Ersten erkannt, darunter erfreulicherweise auch österreichische Firmen, die zu den besten weltweit etwa im Bereich der Fahrzeugsimulation gehören. So genießt AVL in China eine absolute Ausnahmestellung und hat bei Motoren- und Abgassimulation Marktanteile, wie wir sie sonst nur von Suchmaschinen und sozialen Netzwerken kennen. Eine ähnliche Reputation ist auch mit dem Engineering Centre Steyr (ECS in St.Valentin) im LKW Bereich verbunden. Viele in Ostasien kennen neben Wien und Graz auch noch eine andere österreichische Stadt, nämlich Villach, weil dort mit Infineon einer der innovativsten Halbleiterfirmen weltweit sitzt. Solche Beispiele liefern auch die Best Practices für ein erfolgreiches Herangehen an das Thema AI.
Gibt es da ein Erfolgsrezept, das sich verallgemeinern lässt?
Da wäre zunächst die Grundhaltung hervorzuheben: All die oben genannten Firmen haben sich nicht totgestellt, nur weil die Grundlagenergebnisse für AI woanders geschaffen wurden, sondern gezielt ihr bestehendes Wissen und die eignen Stärken mit AI angereichert. Dabei muss es nicht immer um neue Geschäftsmodelle gehen. Es gibt viele Branchen, wo Samples noch von Experten kontrolliert werden oder wo mit Stichproben gearbeitet wird.
Dank KI können wir in unterschiedlichsten Branchen vom Stichprobendenken zur Vollabdeckung gehen, und gleichzeitig auch tiefer in die Analyse hinein. Solche Anwendungen sind bei weitem nicht so Schlagzeilen-kompatibel wie autonom fahrende Autos, im Gegensatz zu diesen bringen sie aber hier und jetzt Einsparungen und Qualitätssteigerungen und sind nicht ein Versprechen für kommende Jahrzehnte. Um die Potentiale von AI voll auszuschöpfen müssen sich unsere Unternehmen bewusst sein, dass AI-Projekte in erster Linie Prozessprojekte sind und nicht klassische IT Projekte.
Von Marion Degener; Fotos: Milagros Martinez-Flener
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