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DigBiz Leader

Das Ziel ist, Customer Centricity digital umzusetzen



Christina Taylor, Re-Invention-Expertin, Dozentin, Erfolgsautorin und federführend bei der frühen Digitalen Transformation der Swisscom, über Dos and Dont‘s bei der Digitalization.



Vor fünfzehn Jahren ging Christina Taylor für den Schweizer Telekom-Konzern Swisscom ins Silicon Valley. Heute gilt ihre Customer-Centricity-Strategie, die sie bei Swisscom umsetzte, als Vorzeigebeispiel für eine erfolgreiche Digitale Transformation von Konzernen. Die Erkenntnisse, auf die sie damals aufbaute und die heute gültiger sind denn je: Der künftige Unternehmenserfolg basiert auf einer radikalen Umstellung und Ausrichtung der Unternehmensinhalte auf die Bedürfnisse der Kunden, die digitalen Möglichkeiten sind dabei der Facilitator. Die größten Herausforderungen dabei liegen im Aufbrechen von Silos bei der Erstellung von multidisziplinären Teams und in einem veränderten Führungsverhalten, das Customer Centricity durchgängig durch das gesamte Unternehmen lebt. Heute ist Christina Taylor erfolgreiche Autorin – ihr Buch „Oops! Innovation ist kein Zufall“ gehört mittlerweile zur Pflicht-Managementlektüre in Sachen Digitale Transformation – sowie Lektorin an der ZHAW und der China Europe International Business School. Und als Future Thinking Catalyst gestaltet sie mit ihrer eigenen Innovationsschmiede Creaholic SA für und mit Kunden in der ganzen Welt neue Produkte und Services.


Viele Unternehmen befinden sich jetzt gerade mitten in Transformationsprozessen – wie war es möglich Digitalization und Human Centered Design bereits vor 15 Jahren in der Swisscom einzuführen?


Das Ziel war trotz fortschreitender Digitalisierung und massiven Attacken von ausländischen Konkurrenten im Markt relevant zu bleiben.

Die Idee war, unternehmerisch proaktiv statt defensiv darauf zu reagieren – wir wollten uns als Unternehmen neu erfinden.

Wir wussten, dass wir externe Einflüsse brauchten, um von dem Tunnelblick wegzukommen, aber wir wollten die Veränderung dennoch auch von innen heraus treiben und schaffen. Anfänglich waren die Treiber der damalige CEO und ein paar seiner Peers, die diese Dringlichkeit gesehen und verstanden haben. Sie beschlossen, proaktiv einen Weg der Veränderung zu beschreiten, der die ganze Organisation betrifft. Es war wirklich so etwas wie ein magischer Moment, in dem vier Entscheidungsträger, während sie im Silicon Valley auf einem Segelboot saßen, diesen Entschluss gefasst haben. Diese Entscheidung top-down zu verankern war essenziell und ist nach wie vor sehr wichtig, obwohl ich dann die Umsetzung bottom-up, gemeinsam mit sehr vielen Personen direkt aus den Organisationen, gestartet habe.


Wie hat dieser Bottom-up-Start konkret ausgesehen?


Ich fasste einige Personen in einer „Human Centered Design“-Abteilung zusammen. Diesen Namen wählte ich ganz bewusst, anstelle von „digitale Transformations-Irgendetwas", denn ich wollte die Veränderung am Markt und an den Kunden ausrichten. Dadurch konnte ich vermeiden, dass wir aufgrund unserer Technik-, HR- und Change-Lastigkeit in typische technokratische und Change-orientierte Diskussionen abgleiten. Das Ziel der Veränderung sollte immer am Markt und am Kunden orientiert sein. Dementsprechend hatte die Abteilung Human Centered Design den klaren Auftrag, Kundenzentriertheit digital umzusetzen, und zwar mit ganz konkretem Output für die Praxis. Die Idee war, uns anhand von neuen Lösungen, die entweder intern eingeführt wurden oder extern im Markt waren, zu messen. Wir nutzten dabei den Ansatz aus dem Design Thinking: die Vorstellung, wie die Welt in vier Jahren aussieht und das Re-Engineering der Schritte, wie man dahin gelangt ist.


Was waren die großen Challenges, die sich dabei gestellt haben?


Zum einen waren das die klassischen Widerstände, die jeder kennt. Es wird immer Leute geben, die versuchen, dich lächerlich machen. Die einen stellen dich, gerade am Anfang der Einführung von Customer Centricity, als Esoteriktante dar, andere sagen du bist zu tough. Es gibt immer Personen, die finden, es fehlen dir irgendwelche Skills oder die sagen „Wir verstehen nicht, was ihr wollt“. Dann stößt man oft auf Hindernisse, die sich aufgrund der Unternehmensorganisation ergeben. Etwas, das vermutlich vielen bekannt vorkommt, ist die Herausforderung, Silos aufzubrechen: Jeder erzählt, warum etwas aus seiner Sicht nicht geht. Eine weitere Challenge ist, alle Leute mit auf den Weg zu nehmen, trotz der verschiedenen Geschwindigkeit, die jeder hat und braucht. Bei uns ist noch ein spezielles organisatorisches Hindernis dazugekommen, das allerdings auch andere Unternehmen immer wieder zu bewältigen haben – das war der Chefwechsel, der bei uns stattgefunden hat. Eine Weile wird die Umsetzung extrem vorangetrieben, weil sie als wichtiges Thema gilt, nach der personellen Veränderung fehlt diese Unterstützung aber dann.

Letztendlich ist das größte Hindernis aber, sich tatsächlich zu entscheiden – dafür oder dagegen, wir machen es jetzt oder wir machen es nicht – und sozusagen der ewigen „Halbschwangerschaft“ ein Ende zu setzen.

Mit welchen Strategien und Erfolgsrezepten lassen sich diese Herausforderungen und Hindernisse meistern?


Um beispielsweise Hindernisse zu überwinden, die sich aus der Unternehmensorganisation ergeben, gibt es Methoden, Tools und auch clevere Tricks. Darüber hinaus muss man lernen, mit vielen verschiedenen Personen umzugehen und sich in andere Perspektiven hineinzudenken, um so einen Kompromiss zu finden, der aber weder das Produkt noch deine eigene Philosophie schwächer macht. Ein wichtiger Punkt ist abzuwägen, wann man „in die Schlacht geht“ – choose your battles wisely. Und ein weiterer wichtiger Faktor ist, sich zu öffnen, um nicht alleine zu agieren, sondern ein cooles Team um sich zu schaffen und die besten Ergebnisse zu erzielen. Und dazu gehört auch die Offenheit, zuzugeben, nicht alle Antworten zu haben und kein klassischer Chef, sondern eher der Leader einer Community zu sein. Diese Art der Leadership ist auch eine Herausforderung, aber in der heutigen Zeit notwendig – nur so können die Teammitglieder eigenständig ihr Wissen einbringen und so in einem komplexen Umfeld zu herausragenden Ergebnissen kommen.


Was waren die wichtigsten generellen Learnings, die sich auch heute bei Kundenprojekten einbringen lassen?


Man kann keine disruptive Innovation von innen nach außen machen, das muss von außen nach innen geschehen. Ich dachte früher, dass das möglich wäre, heute bin ich aber überzeugt, dass das nicht geht. Ein Motor von außen ist notwendig, um die größeren, disruptiven Veränderungen voranzutreiben. Und eine weitere generelle Erkenntnis: Für die Gestaltung von etwas wirklich Neuem muss man der Intuition folgen und vor allem einen qualifizierten Feedback-Prozess einrichten, der wie ein Kompass wirkt, um die Richtung anzuzeigen. Die größte Herausforderung ist, dass man lernt, diesen kreativen Prozess selbst zu navigieren, dass man selbst Ownership annimmt und sich von den Challenges, die rundherum passieren, nicht frustrieren lässt.


In welche Richtung wird sich Digitale Innovation in den nächsten zehn Jahren entwickeln?


In einem zehnjährigen Horizont wird es immer wichtiger, aus Kundensicht zu denken und die digitalen Möglichkeiten weiter auszuschöpfen. Sie sind die Hilfsmittel, um den Kunden alles noch viel einfacher, transparenter und inspirierender zu machen, und hier werden durch die Digitalisierung noch viele neue Modelle des Kaufens und auch des Produzierens entstehen.

Unternehmen, die das Kundenerlebnis im Mittelpunkt haben, werteorientiert sind und Nachhaltigkeit unterstützen, werden sehr erfolgreich sein, wenn sie eine gewisse Philosophie der Zusammenarbeit auch leben und Transparenz zelebrieren.

Ich sehe in diesem Bereich vor allem auch für europäische Firmen große Chancen. Die werteorientierte Unternehmensführung und Produktgestaltung ist ein starker Trend. Aus meiner Sicht ist vor diesem Hintergrund beispielsweise auch eine Rückkehr einer – automatisierten und zugleich maßgeschneiderten – Produktion nach Europa mit Industrie 4.0 und Smart Factoring möglich.


Diese Veränderung bedingt auch eine Anpassung der Unternehmensstrukturen?


Unternehmensintern wird sich viel ändern. MitarbeiterInnen werden nicht mehr mit durchschnittlichen Arbeitsumfeldern und Tools zufrieden sein. Diese Entwicklung wurde durch die Corona-Pandemie und Home-Office-Arbeitsplätzen noch verstärkt. Die neue Generation an MitarbeiterInnen ist weniger tolerant gegenüber komplexen User Interfaces in der Buchhaltung oder im Warenwirtschaftssystem. Sie gehen von Google und der Drei-Klick-Mentalität aus, vergleichen, was sie privat haben und verstehen nicht, warum im Corporate-Umfeld nicht das Gleiche möglich ist. Die Power der User, die immer vergleichen und dort einkaufen, wo es am einfachsten und inspirierendsten ist, kommt auch im Arbeitsumfeld zum Tragen. Auch in der Zusammenarbeit und in der Art der Führung wird es zu einer Veränderung kommen. Das Verständnis davon, wie man kleine und große Unternehmen führt und welche Hilfsmittel und Rahmenbedingungen man MitarbeiterInnen und sich selbst als Führungskraft zur Verfügung stellt, wird sich weiterentwickeln.


Das erfordert auch ein neues, anderes Mindset in Sachen Leadership?


Auf jeden Fall. Silo-Denken und das Schützen der eigenen Pfründe zerstören Innovation und gefährden die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen. Denkmuster wie „kämpfen, um zu gewinnen“ prägen heute nach wie vor oft den Management-Stil. Im Interesse der besten Lösung vor dem Eigeninteresse zu handeln, scheint eine Königsdisziplin zu sein, die noch längst nicht überall angekommen ist. Vor allem nicht bei den KönigInnen. Daher müssen die Karten neu gemischt werden und das bringt neue Rollen und neue Perspektiven für CFOs, CTOs, CIOs und CMOs mit sich. Sich an sozusagen neutralen Kundenbedürfnissen zu orientieren, ist ein Weg, um dieses Muster erfolgreich zu knacken. Um das zu schaffen, müssen Unternehmen sich strukturell und in der Denkweise verändern, und das betrifft vor allem das Management, das die Vorbildrolle einnimmt. Erfolgreiches Leadership verlangt eine bewusste, balancierte Entscheidungskultur und Perspektivenwechsel. Um umzusetzen, was top-down oft salopp gefordert wird, nämlich kundenorientiert, agil und innovativ zu sein, bedarf es mutiger, zukunftsorientierter und bewusst gefällter Entscheidungen für Änderungen. Und dafür bedarf es auch einer Neudefinition der C-Level Positionen, um diese Änderungen dann auch durch das gesamte Unternehmen glaubwürdig fortzusetzen.




Von Julia Weinzettl; Fotos: Mike Flam

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